Was würde ich tun, wenn ich dünn wäre?

Tausend Mal habe ich es schon gehört. Nicht nur wenn es um buddhistische Praxis geht, sondern auch bei Geneen Roth, Susie Orbach, Sheryl Canter.

‚Wir können nichts loslassen, was uns nicht gehört‘ oder ‚Erst müssen wir etwas vollständig annehmen um es zu verändern‘ oder ‚Solange du abnehmen willst, wirst du nicht abnehmen‘ oder ‚Erst wenn du deinen Körper liebst wie er ist, kannst du Gewicht verlieren‘ Paradox, ein Koan.

Jetzt bin ich nicht erst seit gestern dabei. Ich habe schon einige Arten ausprobiert um damit umzugehen.

Eine Strategie war: ‚Ich akzeptiere, dass ich meinen Körper hasse und er deswegen dünner werden muss‘. Die hat mich die meiste Zeit meines Lebens begleitet und mich unzählige Diäten machen lassen. Erst unbewusst, dann immer klarer als ich zu SuH kam um aus dem Diäten-Teufelskreis auszusteigen.

Die erste Zeit dort habe ich auch abgenommen, ich dachte schon das war’s, ich bin über’m Berg, bis ich zu meinem Entsetzen wieder anfing zuzunehmen. Damit hatte ich nicht gerechnet! Ich dachte, wenn ich einmal verstehe wie ich bei Essdruck nicht esse, dann war’s das. Denn, wie ich dort gelernt habe, es gibt einen guten Grund warum ich esse. All das, was ich nicht anschauen und fühlen will, muss ja irgendwie abgedämpft werden. Und wenn ich das jetzt anschaue, dann muss doch alles gut sein.

Aber, klappte irgendwie nicht. Anfangs wusste ich gar nicht wieso. Bis ich so schrittweise dahinterkam, dass ich eigentlich die : ‚Ich esse nur wenn ich Hunger habe und nur bis ich leicht satt bin Diät‘ gemacht habe. Und wehe es gelang mir nicht, dann hatte der Kritiker freie Fahrt, das schlechte Gewissen, die Scham, all das war immer noch da. Dabei war es doch das was ich nicht mehr wollte. Ich wollte mich nicht mehr zwanghaft mit Essen beschäftigen, ich wollte mich deswegen nicht mehr verurteilen und niedermachen. Aber ich tat es immer noch. Weil es mir nicht vornehmlich darum ging mich kennenzulernen und herauszufinden was tief in meinem Inneren los war, was mich so penetrant zum Essen trieb, sondern weil ich nur dünn sein wollte, und das war ein Weg dorthin. Aber so wurde das nichts.

Das brachte mich zur zweiten Strategie, mich damit abzufinden, dass ich eben dick bleibe. Also egal, wenn ich Essdruck habe, habe ich eben Essdruck, dann kann ich auch mal essen. Manchmal geht es halt nicht anders. Dann bleibe ich eben dick. Dieser Satz an sich war schon ein Meilenstein, niemals hätte ich mir in den Jahren davor vorstellen können, das zu sagen. Jetzt kann doch alles gut sein.

Leider bin ich nicht dick geblieben, sondern NOCH dicker geworden. Und das ging gar nicht.

Und da bin ich heute. Gewichtsmäßig. Und ansonsten in einem Schwebezustand. Irgendwie verwirrt.

Die jahrelange Auseinandersetzung mit den Gründen warum ich esse hat insofern Früchte getragen, dass ich keine richtigen Fressanfälle mehr habe, in denen ich Unmengen unkontrolliert in mich hineinstopfe. Ich esse nur immer wieder etwas zu viel. Eine Kleinigkeit. Wenn ich die Mengen zusammenzähle, die ich so täglich, ohne jede Diät oder andere Reglementierung, zu mir nehme, dann ist das oft weniger als in Diätzeiten.

Warum nehme ich nicht ab? Warum habe ich damals abgenommen? Das verstehe ich einfach nicht.

Eine Möglichkeit um das herauszufinden ist noch genauer hinzuschauen, zu schauen, ob ich mich nicht selbst betrüge, ob ich kleine Essanfälle einfach ignoriere, nicht wahrnehme. Oder ob ich auf den falschen körperlichen Hunger hereinfalle, ein sehr trickreich getarnter emotionaler Hunger, der sich nur mit dem absoluten Willen zur Wahrheit enttarnen lässt.

Und eine andere ist, mich damit auseinanderzusetzen, dass ich mich im Leben selbst auf die Warteliste gesetzt habe. Wenn ich abgenommen habe, dann… Und da gibt es viele, viele Danns.

Denn eine Wahrheit, der ich ins Gesicht sehen muss, ist, dass ich es unerträglich finde dick zu sein. Und das ist purer Selbsthass, dass ist mir bewusst. Und solange es so ist, wird das Gewicht nicht gehen können. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wie soll ich mich schön finden, wenn ich mich nicht schön finde, wie ich es drehe und wende, die Konditionierung, wie ein schöner Körper auszusehen hat sitzt tief. So schnell kann ich es nicht verändern.

Neulich habe ich in einer Arbeit mit mir selbst herausgefunden, dass es darum geht, das Dicksein nicht mehr als Ausrede gelten zu lassen. Mir die Frage zu stellen: Was würde ich tun, wenn ich dünn wäre? Das hatte ich wieder vergessen, äh, verdrängt.

Das ist keine schlechte Frage. Es ist sogar eine sehr gute Frage. Vielleicht komme ich so dem Leben auf die Spur, dass ich nicht lebe, weil ich dick bin. Vielleicht geht es beim Annehmen und sich selbst Lieben ja auch darum. Aus seiner Essenz heraus zu leben, der Seele und dem Herz zu folgen, egal wie viel ich wiege. Vielleicht ist es auch momentan nicht so wichtig, dass ich mich schön finde. Mit dieser Erwartung produziere ich nur eine weitere Warteschleife: Wenn ich mich endlich schön finde, dann..

Warum muss ich mich überhaupt schön finden? Kann ich mich selbst mögen, auch wenn ich mich nicht schön finde?

Ja, das kann ich. Ich kann es richtig fühlen, ich muss mich nicht schön finden um mich zu mögen. Was für eine Erleichterung!

Und was würde ich jetzt in diesem Moment tun, wenn ich dünn wäre?

Ich würde bemerken, dass ich nebenbei esse, würde mich fragen, ob ich den überhaupt Hunger habe, würde aufhören wenn nein und würde dem Atem folgen und alles einen Tick langsamer machen, meine Arbeit an meine natürliche Geschwindigkeit anpassen.

Schon geht die Spannung runter. Und der Essdruck. Wow.

Und immer noch lockt das Essen

Sobald ich es auch nur ins Auge fasse, den ersten Beitrag zu schreiben, kommt der Essdruck. Ich sitze vor zwei riesigen Toastbroten mit Butter und will sie weg atmen. Ich weiß nicht mal ob ich Hunger habe oder nicht, der gefühlte Zugang zum Magen ist versperrt, wie oft wenn Essen was wegmachen soll.

Also setze ich mich zum schriftlichen Erforschen hin, die einzige Möglichkeit für mich aus der Trance aufzuwachen und frage:

Was ist los?

Ich fühle in den Körper, Druck und Spannung.

Ich will essen! Lass mich in Ruhe!

Das verstehe ich. Wenn du aber gegessen hast, wirst du nur voll sein und dich schlecht fühlen, aber das eigentliche Problem wird immer noch da sein. Willst du nicht wissen was mit dir los ist?

Doch.

Ok, dann fühlen wir noch ein wenig hinein.

Ich bin so angespannt, ich habe mich entschieden diesen Blog zu schreiben, aber ich weiß nicht was ich schreiben soll.

Aber du schreibst doch was.

Ja, jetzt schon. Das stimmt. Der Druck geht runter.

Weißt du denn noch, warum du dich entscheiden hast den Blog zu schreiben?

Ja. Ich wollte das was ich gelernt habe mir anderen teilen. Wie ich mit dem Esssucht, den Ängsten, den depressiven Phasen umgehe. Dass ich nicht mehr wegschauen will oder mich mit Essen oder anderen Mitteln wegbeamen will, sondern hinschauen will, fragen will, was verdammt noch mal mit mir los ist. Warum es mir so geht wie es mir geht. Und geht es auch anders? Und wenn ja, wie?

Der einzige Weg, der für mich jemals funktioniert hat, ist der Weg der radikalen Liebe zur Wahrheit, ein Weg der jeden Tag und jede Sekunde eine neue Entscheidung braucht. Ich habe schon sehr oft die Erfahrung machen dürfen, dass das Wissen um die eigene Wahrheit, egal wie wenig ich sie haben will, mir Frieden schenkt.

So auch jetzt. Zu wissen, dass ich essen will, weil ich vor dem ersten Beitrag Angst habe, hat den Druck sofort gesenkt. Ich hatte etwas Hunger, also habe ich ein Brot gegessen, das zweite liegt da und interessiert mich nicht mehr. Nie im Leben würde ich das jetzt noch essen wollen. Ganz schön schräg, wo ich mir vorher am liebsten alles in einem Satz in den Mund gestopft hätte.

Ich habe das schon oft erlebt, sehr oft in den fünf Jahren in denen ich daran arbeite. Und trotzdem esse ich immer wieder einfach anstatt zu schauen was ist. Weil es jedes Mal eine neue Entscheidung braucht. Für die Wahrheit und gegen die Trance. Und das ist gar nicht leicht.

Wird mich dieser Weg aus der Esssucht herausführen, hin zu mehr Liebe zu mir und zum Leben? Hin zur Freiheit, zum respektvollen Umgang mit mir selbst, raus aus der Lebensvermeidung, hin zum Leben, was auch immer das ist. Das weiß ich nicht. Aber gehen werde ich ihn. Und teilen.

Das mit dem Teilen vermeide ich seit Jahren. Ich schrieb für mich selbst. Wozu öffentlich? Diese Frage kann ich immer noch nicht beantworten. Der Wunsch ist einfach da und gewinnt mit den Jahren an Kraft. Die Seele spricht durch unsere Wünsche, also habe ich mich entschieden nachzugeben und ihr zu folgen.