Innere und äußere Motivation

Ich kann inzwischen beides spüren, die äußere und die innere Motivation.

Die äußere ist der kopf- und schamgesteuerte Wunsch dünn zu sein und fit auszusehen. Hauptsache ich muss mich nicht für mein Aussehen schämen, was ich aber tue, natürlich. Also kommen aus der Härte und dem Selbsthass immer neue Pläne zustande, wie ich endlich abnehmen könnte und welchen Sport ich machen müsste, damit es endlich klappt. Vorsätze, die nie lang Bestand haben und deren unabwendbare Nichtbefolgung mich wieder in die Hoffnungslosigkeit und in die Selbstvorwürfe katapultiert.

Und dann gibt es noch die innere Motivation, der Wunsch mich wohl zu fühlen, gespeist von der Liebe zu meinem Körper, bei dem es nur darum geht, meinen Körper zu respektieren und gut zu behandeln und ihm das zu geben was er braucht, ohne ein bestimmtes Aussehen als Ziel zu haben, sondern nur aus dem tiefen Wunsch heraus ihn gut zu behandeln, ihn zu hegen und zu pflegen.

Das habe ich ganz lange überhaupt nicht fühlen können, theoretisch war mir das natürlich klar, aber tatsächlich war ich über die Jahre mit der äußeren Motivation so fest verwurzelt, dass ich diese für die innere hielt und es nicht merkte.

In diesem Buch von Olivia Wollinger, das ich übrigens wärmstens empfehlen kann, weil es nochmal einen sehr liebevollen und wertschätzenden Blick auf die ganze Thematik wirft, las ich dann den Satz (oder so ungefähr): ‚Ich gebe meinem Körper wonach er verlangt und was ihm gut tut, ich erlaube meinem Körper sein Gewicht auszusuchen.‘

Peng, das saß: Ich erlaube meinem Körper sein Gewicht auszusuchen. Nein, auf keinen Fall erlaube ich ihm das, schrie es sofort in mir auf.

Dem Körper erlauben sich sein Gewicht auszusuchen, das habe ich vorher noch nie gehört, denn letztendlich ging es immer nur ums Abnehmen, immer und überall, egal wie sich das nennt, der Erfolg wird in (schwindenden) Kilos gemessen. Geschafft hast du es erst wenn du abgenommen hast, und wenn du nicht abnimmst machst du etwas falsch.

Was wenn nicht? Was wenn der Körper genau das perfekte Gewicht hat, das er angesichts des Gesamtpakets haben kann, und wir tatsächlich nichts aber auch nichts mit reiner Willensgewalt daran ändern können? Was wenn der Körper einfach die Oberhand hat, er regiert, und wir uns hier quasi völlig sinnlos am falschen Ende abmühen?

Was, wenn wir fragen müssen: Was brauchst du? und nicht wie ich: Was brauchst du verdammt, damit du endlich dünn wirst? Denn selbst wenn ich die erste Frage stelle, ist die zweite gemeint, und der Körper, der weiß das.

Es hat mich daraufhin eine lange Weile beschäftigt. Erlaube ich meinem Körper sich sein Gewicht auszusuchen, also wirklich, mit allen Konsequenzen, auch wenn es bedeutet, dass dieses Gewicht nicht das Gewicht ist, das ich mir vorstelle? Oder noch gewagter: Auch wenn das bedeutet, dass mein Körper sich im Augenblick genau das aktuelle Gewicht ausgesucht hat? Weil ich es ja habe? Kann ich das?

Am Anfang war die Antwort klar: Nein. Aber inzwischen fühle ich immer öfter diese Liebe zu meinem Körper, diese Bereitschaft mich in seinen Dienst zu stellen und das zu tun was er verlangt. Damit es ihm gut geht, egal wie er aussieht.

Und wenn es ihm gut geht, geht es mir auch gut.

Natürlich klappt es nicht immer, aber es klappt überhaupt. Und der Unterschied ist gewaltig.

Wenn mein Kopf entscheidet, dann will ich den und den Sport machen, die Motivation ist auch stark, deswegen täuscht es auch so oft, ich denke, ich will das jetzt doch.

Aber auf einer anderen Ebene, verbunden mit dem Körper und im direkten Dialog mit ihm, gewillt ihm wirklich zu diesen und sonst nichts, braucht er für sein Wohlbefinden nur ein wenig Dehnen und ein paar Kräftigungsübungen, alles andere ist Überforderung und Stress.

Oder beim Essen, der Kopf will doch immer irgendetwas ‚Gesundes‘, der Essanfall hingegen fordert sein Recht und schwingt das Pendel mit Gewalt in die andere Richtung.

Der Körper hingegen, wenn gefragt, will das was er gerade braucht, und es ist mal so mal so. Mal von meinem alten System als gesund eingestuft, mal nicht. Und wenn es das auch bekommt, dann spüre ich eine tiefe körperliche aber auch seelische Befriedigung.

Das ist auch noch etwas. Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass man beim Essen das Emotionale völlig rausnehmen kann. Wir sind ja eine Einheit, und eine emotionale Komponente bleibt einfach bestehen. Zwanghaft wird es erst, wenn wir nur Essen als Antwort auf alle Emotionen haben.

Aber es gehört zum Leben dazu, dass ich etwas essen will, weil ich emotional gerade diese Qualität brauche und das ist völlig in Ordnung.

Und der Körper gibt die Antwort, wenn die Summe aller Bedürfnisse, also körperlich und emotional diese Speise ergeben, dann tut sie auch gut. Und wenn nicht, dann nicht, genau das selbe Gericht.

Da gibt es noch etwas, auf das mich das Buch der Olivia Wollinger aufmerksam gemacht hat. Dass ich die Stufe der Befreiung von Regeln ausgelassen habe. Aus dem Regelwerk der Kalorien und Diätpläne bis ich direkt in das Regelwerk der Hungerskala geplumpst.

Ab da galt es die zu befolgen: Essen bei Hunger, aufhören bei Satt. Das ist richtig, und da wollen wir hin. Satt ist aber definiert, also bis 7 ist gut usw.

Sie ist das aber ganz anders angegangen. Sie hat einfach aufgehört Diät zu halten und ihrem Körper die Freiheit gegeben. Es war ein jahrelanger Prozeß, im Laufe dessen, der Punkt an dem sie aufhören wollte von 10 auf der Hungerskala sich langsam nach unten verschoben hat, bis sie von innen heraus 5-6 als Wohlfühlpunkt für sich definiert hat.

Das ist natürlich logisch. Erst muss die Freiheit kommen, das Pendel muss in die andere Richtung ausschlagen, bevor die Mitte gefunden werden kann.

Diese Erfahrung habe ich mit Lebensmitteln gemacht, als die Schranke des ‚Was esse ich?‘ gefallen war, aß ich über zwei Jahre bevorzugt Mayonnaise, weil sie bis dahin total tabu war. Nach zwei Jahren ließ es nach, und inzwischen esse ich sie selten.

Doch die Schranke des ‚Wie viel esse ich?‘ ist nie gefallen. Es gab immer ein zu viel.

Die letzten Wochen habe ich mir deswegen erlaubt nicht mehr auf die richtigen Hungerwerte zu achten. Einfach essen. Bewusst und präsent. Und was soll ich sagen? Ich habe natürlich zu viel gegessen und mir geht es hundeelend.

Aus einem ganz anderen Blickwinkel heraus, von innen, aus Liebe zu meinem Körper kann ich spüren, wie mir das zu viel essen schadet. Unabhängig vom Gewicht. Mein Körper leidet und stöhnt und ächzt.

Ich bin so dankbar für diese Erfahrung!

Jedes Mal wenn ich merke welche Auswirkungen das Zu-viel-essen hat, stärkt das mein Gefühl für mich und meinen Körper. Und meine Motivation auf ihn zu achten und ihn zu respektieren.

Und ich kann mich langsam daran machen, mich besser kennenzulernen, das heißt herauszufinden wann für mich der angenehmste Zeitpunkt ist zu essen, egal was die Hungerskala sagt, und wann für mich der beste Zeitpunkt ist aufzuhören, egal was die Hungerskala sagt. Heute natürlich. Jeder Tag ist anders.